Anfang März erinnert jedes Jahr die Woche der Brüderlichkeit an das Miteinander von Juden und Christen.
Ernst Lohmeyer, im Pfarrhaus in Vlotho aufgewachsen, auf dem Friedrichsgymnasium in Herford hat er sein Abitur gemacht, später lehrte er als Theologieprofessor an der Universität Breslau, Anfang der 30iger Jahre Rektor der dortigen Universität schrieb er im August 1933 an Martin Buber: „Der christliche Glaube ist nur so lange christlich als er den jüdischen in seinem Herzen trägt.“
Das Stiftberger Gemeindehaus, in dem alljährlich die Veranstaltungen zur Woche der Brüderlichkeit stattfinden, trägt seinen Namen. Da in diesem Jahr Corona bedingt keine Veranstaltungen stattfinden können, sei erinnert an ein Mitglied unserer Herforder Gesellschaft für christlich jüdische Zusammenarbeit: Prof. Dr. Ernst Stresemann.
Gerade angesichts des wiederaufkommenden Antisemitismus in unserer Gesellschaft ist diese Erinnerung, das Anliegen der Woche der Brüderlichkeit, wichtiger denn je!
In der Nacht zu Neujahr, 01.01.2021, verstarb in seiner Wohnung in Bad Salzuflen Prof. Dr. Ernst Stresemann.
Beruflich war er viele Jahre Chefarzt einer Asthma- und Allergie-Klinik sowie eines arbeitsmedizinischen Instituts. Neben seiner beruflichen Tätigkeit hatte er sich in der Herforder Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit engagiert, einer Thematik, die ihn schon als Junge berührt hatte. „Ich wurde eines Tages als Quintaner im Lessing-Gymnasium Berlin unmittelbar aus meiner politischen Unschuld aufgeweckt, als ein wohlbeleibter Physiklehrer mit dem unverkennbaren Parteiabzeichen am Revers mit Blick auf mich unter persönlicher Anspielung auf Stresemann als den „jüdisch versippten Erfüllungspolitiker“ hinwies. Als 14jähriger Schüler sah er auf dem Weg zur Schule am Morgen des 9. November 1938 aus der S-Bahn in Berlin am Savigny-Platz ein lichterloh brennendes Gebäude, aus dessen großer Kuppel hohe Flammen schlugen. Der einzige jüdische Mitschüler seiner Klasse kam an jenem Morgen mit einem blau unterlaufenem Auge in die Klasse. „Ich gesellte mich zu ihm und begleitete ihn in der Pausenrunde . . . ich fragte ihn nicht, wie er zu dem blauen Auge gekommen war. War ich zu scheu oder wollte er darüber nicht sprechen? Ich glaube, es bewog ihn, mir die Schrecken der vorangehenden Nacht nicht zu schildern. Er kam bald nicht mehr in unsere Schule. Wenn ich traurig innerlich seine Spur verfolge, tun sich mir Bilder des Grauens auf“, schrieb Ernst Stresemann.
Seine spätere Ehefrau Beatrice, aus einer jüdischen Herforder Kaufmannsfamilie stammend, war als Kind mit ihrem Bruder 2 Jahre in Holland von Pflegeeltern versteckt gehalten worden bevor sie 1944 beide verraten und über das Sammellager Westerbork in die KZ’s von Bergen-Belsen und Theresienstadt verschleppt worden waren. Dort waren sie 1945 völlig abgemagert befreit worden. „Mit ihr als Lebensgefährtin hatte ich eine weitere Verankerung im Judentum, ein Bereich, der mich schon so viele Jahre innerlich berührt hatte.“
Mit ihr gemeinsam hatte er sich in der Herforder jüdischen Gemeinde engagiert, sich eingebracht bei der Planung und dem Bau der Synagoge in der Komturstraße; das schöne Buch zur Einweihung „Wir freuen uns und wir weinen . . .“ hat er finanziell ermöglicht, ebenso die spätere Renovierung des jüdischen Gemeindehaus. Er fühlte sich der jüdischen Gemeinde gerade als Christ tief verbunden. So hat er auch in der Herforder Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit sowie im Kuratorium „Erinnern, Forschen und Gedenken“ mitgearbeitet.
Ich erinnere mich an eine Veranstaltung unserer Gesellschaft zur Woche der Brüderlichkeit, in der der Londoner Rabbiner Albert Friedlander über Leo Baeck berichtete, den Lehrer und Tröster im Lager Theresienstadt, dem Lager, in dem seine Frau gelitten hatte.
Ernst Stresemann formulierte bewegende Worte im Blick auf das Schicksal der jüdisdchen Menschen in jener Zeit:
„Wo warst Du, Gott, als wir Dich suchten? . . .
Wo warst Du? Was sollten wir lernen, wir, die kleine Zahl, die das Grauen überlebten, wolltest Du uns prüfen, wie stark unser Glaube an Dich sei, im Elend verlassen?
Hiob, war er stärker als wir, wenn er, der Geschlagene, im letzten sich zu Dir bekannte? . . . Es ist still geworden um uns, seit wir frei sind. Wo ist die Stimme, die uns leitet? Bist Du nun stumm, Gott, verstummt, da Du uns sahst, verzweifelt, gemeuchelt, hingestreckt in die Gräber in Reihe? . . . Es kann nicht sein, dass Du nicht bist. Ich höre Dich wieder, ganz leise erst. Stirb‘ nicht Gott, auch wenn wir Dich nicht verstehen. Bleib bei uns, wir brauchen Dich!“
Dankbar gedenken wir gerade zur Woche der Brüderlichkeit als Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit unseres im jüdisch-christlichen Glauben tief verbundenen Bruders Ernst Stresemann. Auf dem jüdischen Friedhof in Herford fand er seine letzte Ruhestätte.
Dr. Wolfgang Otto